Das Ufer als Dokument und zwei neuralgische Punkte

Als Kind, das in den 1960er Jahren in der Innenstadt aufwuchs, wurde man von der Mutter oder vom Großvater mitgenommen an den Rhein. In freudiger Erwartung ging es die Rheingasse hinunter. Ich habe eine starke Erinnerung daran, wie mir beim Eintreffen am Ufer der Strom vorkam, die Schiffe, die Vögel, der Himmel, das Wetter, die frische Brise, der Geruch der chemischen Abwässer, die Geschäftigkeit am Pavillon, das Gewimmel an den Anlegestellen. Dann bog man nach links ab in Richtung Brücke, oder man ging in die andere Richtung. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass der Eindruck nicht abwechslungsreich war, man schritt, man wandelte ohne Störung auf den Strecken, um die es jetzt geht.

Die Uferanlagen waren damals neu und wie aus einem Guss. Sie entsprachen dem Gedanken einer ebenso einheitlichen wie lockeren Struktur, die sich bereits in den ersten Überlegungen zur Altstadtumlegung abgezeichnet hatte. Die Durchgestaltung des Rheinufers war eines der frühesten Ziele des Wiederaufbaus. Schon im Herbst 1945 ging es genau darum. Von einem Planungsbüro wünsche ich mir ein stadtraumgeschichtliches Bewusstsein für die Entstehung der Uferpromenade in den späten 1940er und 1950er Jahren und entsprechendes Befragen des Gebiets - nicht, damit es wieder so aussieht wie es mal war, sondern damit man weiß, warum es jetzt so aussieht wie es aussieht und einschätzen kann, wie es mal gedacht war. Sich zu fragen, wie die damalige Stadtplanung die vorhandenen Gegebenheiten und Eigenarten des Bonner Ufers aufgegriffen hat und in noch wacher Erinnerung an das Stadtbild vor der Zerstörung vorgegangen war, kann helfen, auch diverse Entwicklungen aus der Zwischenzeit zu verstehen. Wenn das Ufer nur zu einem geringen Teil unter Denkmalschutz steht, muss das nicht bedeuten, dass man ihm nicht eine auch grundsätzlich geschichtlich orientierte Haltung entgegenbringt.

Es wird häufig von der mangelhaften Anbindung gesprochen, und dass niemand wüsste, wie man von der Stadt an den Rhein kommt. Ich glaube das nicht. Wer hin will, findet natürlich seinen Weg, und man soll den kontemplativen Effekt der Naherholung nicht unterschätzen. Man soll nicht zu sehr missbilligen, dass man am Bonner Rheinufer weitaus mehr mit dem Strom verbunden ist als mit der Stadt, bedingt schon durch die Rheinbiegung, die von hier aus eher einem See ähnelt als einem Fluss. Es ist ein eigener Reiz, der etwas Besonderes ausmacht: die Promenade als eine Welt für sich, der Stadt eher abgekehrt als zugewandt. So war es gedacht, und so wurde es damals umgesetzt. Das andere Prinzip eines gänzlich fließenden Übergangs zwischen Stadt- und Uferraum würde notwendigerweise erfordern, den Straßenverkehr auf dem Belderberg und die nördliche Adenauerallee unter die Erde zu verlegen - eine Idee, die immer mal aufkam und ebenso wieder verworfen wurde. Mithin würde auch dies an der durch Abschüssigkeit, Stützmauern und Blockrandbebauung hervorgerufenen „Enge“ nichts ändern. Der Vergleich mit der anderen Rheinseite muss berücksichtigen, dass das Beueler Ufer zu einer Tageszeit in der Sonne liegt, zu der in Bonn nur Schatten herrscht, und dass die ebenen Flächen in Beuel zwar den ungemeinen Vorteil von Liegewiesen mit Aufenthaltsqualität bieten, andererseits jedoch nicht gegen Hochwasser schützen. Auch bei Vergleichen mit Köln, Düsseldorf, Koblenz und Basel muss man sich die jeweiligen geographischen und stadträumlichen Situationen vor Augen führen, sie lassen sich nur bedingt oder gar nicht auf Bonn übertragen. Ich rate dazu, die gegenüber anderen Städten bisweilen als Nachteil empfundenen Eigenheiten des Bonner Ufers nicht als Manko anzusehen, gegen das man ankämpfen muss, sondern aus den Gegebenheiten heraus eigene angemessene Modelle zu entwickeln.

An der Beobachtung von Prof. Stahl fand ich interessant, wie er die verschiedenartigen Szenerien definiert, die es am Rheinufer hintereinander gibt. Sehr treffend bezeichnet er die in den 1980er Jahren gefundene Lösung für Garagenzufahrt und Treppenaufgang vor dem Opernplatz als „abwehrende Bastion“. Das war nicht immer so. Nach der Fertigstellung des Stadttheaters 1965, dem heutigen Opernhaus, führten mindestens zwanzig Jahre lang terrassenartig angelegte Rasenflächen mit niedriger Wegebeleuchtung den Hang hinunter direkt zur Straße am Ufer, darüber verband eine langgestreckte hell gestrichene Aussichtsrampe das Gebäude mit der Brücke, bis es zum Bau des Parkhauses kam. Ich habe diese Veränderung damals sehr bedauert, denn die eigentlich unschöne und mit der konstruktiven Modernität des Opernbaus schwer zu vereinbarende trauliche Ziegeloptik unterbricht den schwingenden architektonischen Raum und tut so, als müsste sie die Befestigungen am südlichen Brassert- und später am Rathenauufer bereits an einer Stelle antizipieren, an der es gar nicht nötig ist.

Vorsicht ist in der Betrachtung der bestehenden Achsen geboten. Bei der Hatschiergasse und der Ersten Fährgasse handelt es sich zum Beispiel um reine Zuwege. Es würde dem Charakter dieser engen Straßen widersprechen, wenn man sie zu großartigen Attraktionen aufmöbelte, und der in seiner Verschlungenheit außerordentlich charmante Zugang über die Konviktstraße würde vermutlich allein dadurch neu belebt werden, wenn der Bau der Universitätsbibliothek im Viktoriakarree realisiert wird. Das heißt, es hängt nicht von der Situation am Ufer allein ab. Aus der Stadt selbst müssen Orientierungspunkte, Wegmarken, Beweggründe kommen, so dass Zuwege nicht künstlich ausgestattet werden müssen, sondern in ihrer eigentlichen Funktion wieder erkannt und genutzt werden. Dafür muss es Anlässe im Stadtinneren geben, und hier rücken die drei wesentlichen Verbindungen zwischen Fluss und Stadt ins Blickfeld: der Weg vom Stockentor über den Stadtgarten zur Treppenanlage am Alten Zoll, der gerade neu saniert wird; die Verbindung Brüdergasse / Kapuzinerstraße, die trotz (oder gerade wegen) der Unterführung alles andere als attraktiv zu nennen ist (allein ein oberirdischer großzügiger Fußgängerübergang würde schon die gewünschte Abhilfe schaffen); vor allem aber der Straßenzug Rathausgasse / Rheingasse, der die eigentliche Magistrale darstellt und über Jahrhunderte die traditionelle Hauptverbindung zwischen Rhein und Stadt bildete, weil er vom Ufer direkt zum Marktplatz und wieder zurück führte. Davon ist heute so gut wie nichts mehr zu spüren.

Der Bau der Rheinlogen ließ die frequentierten Bereiche des damaligen Hotels Beethoven und des Gartenrestaurants am unteren Ende der Rheingasse verschwinden. Von der einstigen Geschäftigkeit zeugt nur mehr das Café Kleimann. Bis heute hat sich in den Sockelgeschossen der Rheinlogen nichts etablieren können, was auch nur annähernd mit Belebung bezeichnet werden kann. Die Ödnis der einst starken Verbindungsader ist aber vor allem auf die Vernachlässigung der Rathausgasse zurückzuführen, eine Straße, die man stadtseitig ungerne betritt, weil sie gar nichts Anziehendes mehr zu bieten scheint. Darin erblicke ich einen neuralgischen Punkt, der bei der Neugestaltung des Ufergebiets eine wichtige Rolle spielen müsste. Wenn man sich in Bonn dazu entschließen könnte, den rückwärtigen Teil des Alten Rathauses und seinen Anbau auf der Rathausgasse zum neuen Standort des Stadtmuseums zu bestimmen, würde sich die Straße in Verbindung mit Verkehrsberuhigung und Neubelebung der Ecke Stockenstraße / Rathausgasse entspannen und wieder einladend werden. Es träte genau der Effekt ein, der auch die Nähe zum Rhein wieder spürbar macht.

Den zweiten in meinen Augen neuralgischen Punkt spricht Prof. Stahl aus dem off an: „Die sensible Einbindung des Mahnmals ist eine wichtige Aufgabe für die Wettbewerbsteilnehmer.“ Sensibilität in diesem Fall kann jedoch nur bedeuten, dass man sachlich informiert, aufklärt und nicht aus purer Betroffenheit ein zweites Mal dem symbolischen Mahnmal und seiner Metaphorik folgt. Es ist wichtig, außerordentlich wichtig, dass gerade an diesem Ort Klarheit besteht. Sie kann hergestellt werden. Sicher nicht dadurch, indem die erwähnten Hohlräume zu Clubkellern umgewidmet würden, was der Ausstrahlung dieses Orts völlig zuwider liefe, aber mit der Freilegung der originalen östlichen Fundamentmauer der Synagoge vom Gestrüpp unmittelbar vor dem Terrassensockel des Hotels Hilton und einer Hinweis-Stele mit informativen und illustrierten Texten, die an den Bau der Synagoge in den 1870er Jahren, ihre Gestaltung durch den in Bonn völlig vergessenen Architekten Hermann Maertens und das ehemalige hier befindliche jüdische Wohnviertel erinnern, wäre schon viel erreicht. Grundlegende Hinweise und Anregungen dazu sind nachlesbar in den Bonner Geschichtsblättern Nr. 68 / 2018. Ideal wären zusätzlich die Aufstellung eines der wenigen übrig gebliebenen Fragmente des 1938 zerstörten Synagogenbaus - ein von der Künstlerin Tina Wedel aufgefundenes und als „Tempelstein“ inszeniertes Turmstück, das seit 1991 vor dem Eingang des Frauenmuseums steht -, die Benennung einer Stelle in nächster Umgebung nach dem Architekten Maertens oder die schon einmal diskutierte und dann wieder verworfene Nutzung des Brückenhauses als Außenstelle des anderenorts untergebrachten NS-Dokumentationszentrums, etwa in Form eines begehbaren kleinen Ausstellungslokals. Mit entsprechender Pflege würde der Ort eine angemessene und zeitgemäße Würdigung erfahren, die ihn auch jenseits von Gedenkveranstaltungen als geschichtlich erlebbaren Raum ausweist, und schon mit wenigen Mitteln ließe sich ansatzweise vollziehen, was auf anderer Ebene bemängelt wird: Durchlässigkeit, hier einmal nicht zwischen „Stadt“ und „Fluss“, sondern zwischen dem Vergangenen und dem Heutigen. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Eigner des Hotels eine solche Anlage nicht nur billigen, sondern auch mit ihr kooperieren würden.

Kommentare

Danke für diese historische Einordnung. Mir gefällt in Bonn auch gerade, dass der Rhein und die Promenade ein eigener Raum ist. Ob es unbedingt die oft angesprochene Öffnung zur Stadt sein muss? Vielleicht geht dabei auch mehr verloren als dass etwas gewonnen wird.
Sehr interessant finde ich auch die Ausführungen zur früheren Gestaltung des Übergangs vom Rheinufer zum Opernrasen. Die aktuelle Gestaltung mit Ziegelwand und Operngarage mutet sehr trutzburghaft an, die beschriebenen terrassenförmigen Rasenflächen hören sich sehr interessant an.
Grundsätzlich gibt es viele gute Elemente auch in der aktuellen Gestaltung (z.B. auch die Baumallee am Moses-Hess-Ufer), es müsste vor allem erstmal regelmäßig in Stand gehalten werden.