Keine Angst vor Veränderungen! Keine Angst vor "Handwerkern", "Einzelhandel" oder "Konservativen"

Wenn wir ehrlich sind, gibt es für alle Aspekte der Verkehrswende in Bonn bereits ausreichend Wissen und Lösungen. Wichtig ist die Umsetzung und die Priorisierung der umzusetzenden Maßnahmen. Leider verliert die Verkehrswende-Seite oft die Argumentation, weil das falsche Framing Oberhand hat.
Egal was wir jetzt fordern würden, z.B. die Anzahl an Parkplätzen zu verringern, grundsätzlich keine neuen Parkplätze mehr zu bauen etc... sobald das Ende des lokalen Handwerks, des Einzelhandels, der gestressten Arbeitenden oder anderes in die Diskussion geworfen wird, dreht sich wieder alles im Kreis, ohne Blick nach vorne. Hier wäre eine gute strategische Kommunikation und klare Leitlinien der Entwicklung, die wissenschafts- und datenbasiert argumentieren kann, sehr sinnvoll. Dabei sollte immer als erstes die soziale Verträglichkeit sichergestellt werden, durch finanzielle Ausgleiche oder bessere Angebote. Prio eins wäre daher aus meiner Sicht eine starke, stringente, mit positiven Beispielen aus anderen Städten gespickte Kommunikations- und Umsetzungsstrategie zu formulieren und sich mit dieser mit anderen progressiven Städten zu vernetzen.
Das vorweg gesagt, sind für mich folgende konkrete Maßnahmen sehr sinnvoll:
Ich wohne in einer sehr engen und von Autos (parkend und fahrend) extrem überdurchschnittlich dominierten Straße im Stadtteil Graurheindorf. Es ist nicht möglich mit Kindern in dieser Straße spazieren zu gehen oder Fahrrad zu fahren und es gibt keine Alternative Route. In Fällen, in denen abgewogen werden muss zwischen Sicherheit von Rad+Fuß oder Verkehrsfluss von Autos, sollte die Priorisierung immer eindeutig ausfallen. Das Streichen von Parkplätzen auf einer Straßenseite, sodass wenigstens eine Seite begehbar bleibt, die Einführung eines verkerhsberuhigten Bereichs, eine Fahrradstraße,.... all das wären sinnvolle Möglichkeiten um nachhaltigen Verkehr zu fördern. Die Sicherheit und Barrierefreiheit für die "schwachen" Verkehrsteilnehmenden muss immer Prio haben. Es wurden in unserer Straße so viele Baustellen eingerichtet, die Teile der Verkerhswege abgerissen und neu gebaut haben. An keiner dieser Baustellen wurden die Gehwege angepasst, Parkplätze entfernt oder Gehwege mit Absenkungen für Kinderwägen, Rollstühle, Kinderfahrräder eingerichtet. Alles vertane Chancen, die relativ kostenneutral hätten umgesetzt werden können. Bauliche Veränderung von gefährlichen Straßenkreuzungen, die nicht den Autoverkehrsfluss, sondern die Sicherheit und den Komfort von Fahrrad und Fußverkehr erhöhen sind immer sinnvoll. Besserer Verkerhsfluss für Autos führt immer zu mehr Autoverkehr und sorgt dafür, dass die neuen Lösungen nur wenige Jahre halten, danach muss wieder erweitert werden. Lösungen für Kreuzungen wie am Bertha von Suttner-Platz, bei denen Radfahrende als erstes und baulich getrennt von den Autofahrenden in die Kreuzung fahren können, gibt es zahlreich in anderen Städten und auch als konkrete Vorschläge eines Architekten in Bonn.
Ebenfalls sehr wichtig wäre die Kompatibilität des ÖPNV mit Radverkehr. Es ist schlicht unmöglich sein Fahrrad, geschweige denn mti Kinderanhänger in der Bahn mitzunehmen. Andere Städte, insbesondere in den Niederlanden, haben sehr gute Lösungen hierfür gefunden. Falls die alten Bahnen der SWB modernisiert werden, sollte dies eine Top-Prio sein.

Finanzielle Anreize für den Verzicht aufs Auto und finanzielle Belohnung derer, die bereits im Haushalt auf ein Auto verzichten sind sinnvoll und können die Verknappung und Verteuerung von Parkraum ergänzen.
Die Grunderwerbsteuer ist ein extrem starker Hebel der Stadt, um Veränderungen zu bewirken. Es gibt eine Gemeinde in Mexiko, die die Grundsteuer für alle Haushalte verringert, die ihre Dächer begrünen und Gärten anlegen. In diesem Sinne könnten auch autofreie Haushalte finanziell bessergestellt werden. Die Stellplatznachweise beim Hauskauf/-bau sind zu überdenken. Es soll ja nicht nur darum gehen Autos von den öffentlihen Parkplätzen zu bekommen, sondern die Anzahl der Autos in Bonn ganz zu reduzieren.
Parkräume für privat organisierte Carsharingmodelle wären sinnvoll! Nicht alle können oder möchten die bestehenden Carsharing-Anbieter nutzen, weil deren Autostationen oft nicht weit an den Stadtrand reichen. Private Carsharinginitiativen könnten hier schnell die Anzahl der Autos reduzieren. Hilfestellung z.B. für Versicherungslösungen, Parkplatz reservieren etc... wären sicherlich sinnvoll, um dies zu beschleunigen. Arbeitgeber:innen in Bonn, die ihre Mitarbeiter dabei unterstützen ohne Auto in die Arbeit zu kommen, sollten einen Vorteil davon haben.
Nachbarschaftliche Spielräume, um vom Parkraum befreiten öffentlichen Raum zu gestalten, sollten erhöht werden. Wenn ich mir vorstelle, dass z.B. eine Nachbarschaft die Möglichkeit hätte den Platz an der Straße umzugestalten und dabei ggf. durch einen Wettbewerb oder Fördertopf noch dabei unterstützt werden würden schöne Sitzmöglichkeiten, Grünflächen oder Spiel- Erfahrungs oder Lernräume aller Art zu schaffen und gemeinschaftlich zu gestalten, wäre die Bereitschaft auf Autos zu verzichten und ggf. auch Nachbarschaftliche Carsharing-Modelle zu etablieren höher. Das wären alles positive Anreize, die Lust und Laune machen, die Verkerhswende mitzugestalten. Die Stadt müsste hier vielleicht auf ein Subsidiaritätsprinzip zurückgreifen, das sie nur aus den öffentlichen Strukturen kennt. Was bedeutet es, wenn Gestaltungsspielräume und Entscheidungsprozesse den Bürgerinnen vor Ort lokal gegeben werden? Das Ganze natürlich mit einem Rahmen, der die Eckpfeiler deutlich kennzeichnet, sprich es wäre nicht möglich den öffentlichen Raum zu verwahrlosen oder mit wenig nachhaltigen Dingen vollzustellen.

Kommentare

Es geht nie darum den Handwerkern, dem Einzelhandel oder sonstwem zu schaden. Es gibt immer die Möglichkeiten für Ausnahmen. Aber es sind halt nicht "Die Handwerker" die unsere Stadt mit Autos vollstopfen, die machen nur einen sehr kleinen Teil aus und die sollen keine Nachteile haben. Leider werden aber "Die Handwerker" sehr oft als offensichtlich vorgeschobenes Argument eines ganz anderen Teils der autofahrenden Bevölkerung genutzt, um ihre eigenen Privilegien nicht aufgeben zu müssen. Und dieses Framing dominiert dann leider zu oft die Debatte und verhindert konstruktives Weiterkommen. Hier wäre ein kluges antizipieren dieser Scheinargumente sinnvoll und hilfreich, um die Diskussion auf einer anderen Ebene führen zu können.