Eine zeitgemäße Struktur?

Für die Konsensbildung scheint mir dieser Entwurf eines auf Bonn zugeschnittenen „Fünf-Höfe-Modells“ am brauchbarsten. Er schildert das Areal am realistischsten, auch im Kontext der unmittelbaren Umgebung, und bietet vielerlei Projektionsflächen für die unterschiedlichen Nutzungsinteressen. Es werden die Potentiale richtig aufgezeigt, die an den Übergängen bestehen und zu Fortentwicklungen Anlass geben. Zudem ist er in der Lage, einzelne Details aufzunehmen, die in den anderen Entwürfen stärker herausgearbeitet wurden.

Der Entwurf „lebt“, und es macht Spaß, ihm dabei zuzusehen.

Wird sich der Investor dafür begeistern können? Oder braucht es derer mehrere, die sich gesondert der hier aufgetragenen Einzelprojekte wie „Großes und weniger großes Gewerbe“, „Wohnen / Büro“ und „Kultur bzw. Universität“ annehmen?

Im Blick auf den Ostteil des Areals frage ich mich dennoch, ob die Bonner Innenstadt reif ist für eine solche Höfe-Lösung, die in Zentrumsbereichen anderer, vornehmlich größerer Städte zwar gang und gäbe ist, sich aber dort organisch entwickelt hat und nicht – wie hier – aus der noch derzeitigen terra incognita eines verwaisten Schwimmbadkomplexes einen multiplen Erlebnisraum generieren will.

Wie das aussieht, wenn zwar viel Bemühung in eine abwechslungsreiche Architektur und auch stadtraumgeschichtlich inspirierte Wegeplanung investiert wird, das Ergebnis jedoch merkwürdig unbefriedigend ausfällt, sieht man an den Rheinlogen im Rheinviertel. Strukturelle Auflockerung war wohl auch hier das Gebot, aber herausgekommen ist das Gegenteil von Belebung. Gewiss, es handelt sich um Wohnhäuser, aber die Vorstellung, dass wir uns zwar zwei wunderschöne Innenhöfe mit Gewerbeeinrichtungen im Ostteil des Karrees leisten, diese aber nicht angenommen werden und leer bleiben, weil sie der Psychologie des Stadtraums an dieser Stelle nicht gerecht werden, dämpft. Eine Perspektive kann sich erst über die Neunutzung der Halle ergeben (deren Längsseite in der Skizze übrigens sieben Meter zu kurz dargestellt ist, entsprechend fällt die Bebauung bis zur Ecke Franziskanerstraße sieben Meter länger aus – vielleicht wirkt die Skizze deshalb so harmonisch?).

Weitere Anmerkungen zum Molestina-Entwurf:

- Der starke gewerbliche Zug, der im westlichen Teil herrscht, wäre zu einem Zentrum des Gewerbes auszubilden, für den der diagonale Zugang aus der Signa-Planung mich stets überzeugt hat. Überdies plädiere ich dafür, die Ecksituation Rathausgasse / Stockenstraße mit einem Gebäude auszustatten, das sich höhenmäßig am gegenüberliegenden Ruland-Haus (und dem ihm wiederum gegenüberliegenden Eckhaus am Markt) orientiert, und sie somit auch flächenmäßig verstärkt. Damit erführe einerseits der Bischofsplatz die ihm noch abgehende abschließende Markierung, zum anderen würden die Höhenkorrespondenzen mit dem Universitätsturm lebhafter, und sowohl die Stockenstraße wie auch die Rathausgasse erhielten ein großzügigeres städtisches Entree. Ein konzentrierterer Eindruck an dieser Stelle des Stadtbildes wäre das Ergebnis.

- Keinen neuen Platz im Bereich Stockentor / Franziskanerstraße vorzusehen (wie in zwei anderen Entwürfen geschehen) finde ich richtig. Schließlich setzt sich der herbe Charme der Franziskanerstraße aus zwei strengen Fluchtlinien zusammen (wo gibt es dergleichen noch mal in der Innenstadt?). Alles, was davon abweicht, würde die guten Erfahrungen mit diesem Stadtraum riskieren gegenüber dem Wagnis einer Verniedlichung, die darin besteht, zwar einen neuen traulichen Dreiecksplatz zu haben, aber sich dann auch wieder Strategien für seine Belebung ausdenken zu müssen. „Normal“ ist nichts (s. Remigiusplatz oder Fürstenstr.-Halbrondell – zwei exponierte Platzsituationen in der Fußgängerzone, die zur Zeit aufgrund ungünstiger Entwicklungen stark verbesserungswürdig sind).

- Wenn man von Westen kommend die ersten drei Höfe durchquert hat, könnte es mit dem vierten und fünften langweilig werden, wenn hier nicht etwas abläuft, das Abwechslung schafft bzw. von sich aus etwas grundsätzlich Anderes bietet. Es muss Gründe geben, sowohl den einen wie den anderen Teil des Karrees bei selber Gelegenheit aufzusuchen, aber auch, nur den einen oder nur den anderen. Im Ostteil läge der Schwerpunkt z.B. auf Büros, Praxen, Kanzleidienstleistungen, auf dem Modell des „Wohn- und Geschäftshauses“, auch Loft-Situationen sind hier denkbar. Zur Art der gewerblichen Angebote im EG wurde hier bereits einiges gesagt.

- Alle Überlegungen zur Entwicklungsfähigkeit des Ost-Areals stehen und fallen jedoch mit der künftigen Nutzung der Halle, die ihren randständigen Status überwinden muss, wenn sie in die Zukunft mitgenommen werden soll (ganz abgesehen von bautechnischen Prüfungen). Wenn sich das so bezeichnete „Kultur-“ oder „Mitmach-Haus“ durchsetzen sollte (und ihm würde ich vor einer „Markthalle“ an dieser Stelle in jedem Fall den Vorzug geben), wäre z.B. ein gemeinsames Hallenprojekt von Institutionen wie dem Stadttheater, der Universität oder der Brotfabrik im ehemaligen Viktoriabad denkbar. Nach meiner Auffassung müsste jedoch eine kommunale bzw. Landesinstitution die Oberhoheit haben, damit der öffentliche Status gewahrt bleibt. Und es müsste eine Verpflichtung bestehen, das Gebäude auch tagsüber zu bespielen – mit Ausstellungen, Events, Zusammenkünften etc. Unter solchen Voraussetzungen kann man sich eine Ausstrahlung vorstellen, die das Ostrevier tatsächlich prägt und ausreichend belebt.

- Demgegenüber sehe ich das Stadtmuseum hier nicht. Es müsste sich, nachdem es 1998 im ehemaligen Sauna- und Reinigungstrakt des Viktoriabads eröffnet wurde, absurderweise ein zweites Mal an einer seiner Zweckbestimmung diametral entgegengesetzten Schwimmbadarchitektur abarbeiten. Bei bestem Willen und trotz gründlichem Studium der vom Stadtmuseum ausgegebenen Raumsimulationen finde ich keinen Zugang zur Bonner Stadtgeschichte in dieser unproportionalen Umgebung – ich brauche kein sachfremdes Hallengefühl um mich herum, wenn ich mich mit so komplexen (und z.T. auch sehr kleinen und filigranen) Gegenständen wie historischen Exponaten befassen will, sondern einen konzentrierten neutralen Raum mit genauen Lichtverhältnissen, in dem ich mich mit dem, was ich gerade sehe, alleine und von äußeren Eindrücken ungestört fühlen kann. Ich wünsche mir ein kräftiges Stadtmuseum, das seine Energien in ihm gemäßen Räumlichkeiten entwickelt, das sich programmatisch erneuert und neue Strategien für erkenntnisreiche und begeisternde, intensive und kritische Ausstellungen findet, um den vielfältigen Aspekten der Bonner Stadtgeschichte gerecht zu werden, eines, das als Museum der Bundesstadt womöglich auch in die Berliner Museumslandschaft hineinstrahlt (etwa über das Plateau Haus der Geschichte / DHM). Wo könnte es sein?

- Im Molestina-Entwurf wird (wie in allen anderen Entwürfen übrigens auch) der Minoritenplatz an der Rathausgasse als kontextuell wichtig für das Viktoriakarree herausgestellt, obwohl er im Unterschied zu anderen markierten Plätzen nicht als öffentlicher Stadtraum ausgewiesen ist. Irgendetwas aber, so scheinen es alle Büros gefühlt zu haben, „gibt es hier“ (auch wenn die KCAP-Schatzsucher offenbar nichts fanden). Dieser Meinung war jedenfalls auch schon einmal die Stadt Bonn, als sie 1953 den Rathaus-Erweiterungsbau plante, um in seinem am Minoritenplatz gelegenen Ostflügel das Städtische Kunstmuseum unterzubringen. Entgegen mancher Auffassung ist das Kunstmuseum damals nämlich nicht in ehemalige Büroräume gezogen, sondern bezog 1954 dieses speziell für seine Ausstellungszwecke konzipierte Gebäude, wo es bis zu seinem Umzug 1991 auf die Museumsmeile fast vierzig Jahre blieb. Erst daraufhin kam es zur entgegengesetzten Umwandlung von Museums- in städtische Büroräume.

- Seitdem schlummert an der Ecke Rathausgasse / Minoritenplatz bei reger Büronutzung unter herabgezogenen Decken und eingezogenen Wänden ein originaler Bonner Museumsbau der 1950er Jahre vor sich hin, der einzige seiner Art. Wäre dieser auch architekturhistorisch bedeutsame Bau für den Bedarf des Stadtmuseums recyclebar? Mehrere Gründe sprechen für den Ort: das Stadtmuseum befände sich dann, wie von manchen Stadtverordneten gefordert, nicht mehr auf dem Viktoriakarree – es würde aber auch nicht dort hinziehen, wo es der Förderverein des Stadtmuseums nicht hinhaben möchte, nämlich auf das Gelände der ehemaligen Pestalozzischule. Das Stadtmuseum am Minoritenplatz befände sich nach wie vor innerhalb der alten Stadtmauern, auf dem gegenüberliegenden Karree, das nicht minder historisch ist als das Viktoria-Areal, sondern im Gegenteil fast noch bemerkenswertere Signifikanten aufweist – vom Alten Rathaus bis zur Remigiuskirche, von der Hinterfront des alten Klostergarten bis hin zu Grundstücksparzellierungen, die direkt auf die Anfänge der Säkularisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts verweisen.

- In Anbetracht synergetischer Effekte (das gegenüberliegende Stadtmuseum würde von einem neuen Viktoriakarree ebenso profitieren wie umgekehrt) hier der Vorschlag, bei künftigen Planungen diesen Bereich mit zu berücksichtigen, so dass sich z.B. folgende Raumaufteilung ergeben könnte:
- in die OG’s des derzeitigen Stadtmuseumsgebäudes (egal, ob es bleibt oder in ähnlicher Proportion neu gebaut wird): Büroraum und/oder universitäre Einrichtung (die Signa lag intuitiv richtig, als sie die Universitätsbibliothek hier vorsah),
- in die ehemalige Schwimmhalle: „Kultur-“ bzw. „Mitmach-Haus“,
- in den Ostflügel des Rathauserweiterungsbaus an der Rathausgasse / Minoritenplatz: Stadtmuseum.