zu dicht und nicht klimagerecht
Interessengemeinschaft „Lebenswertes Rheinwohnen“
Christoph Rüter, Petersbergweg 27, 53227 Bonn;
Hans-Joachim Runkel, Himmerichweg 52, 53227 Bonn
An die
Bundesstadt Bonn
Vorhabenbezogener Bebauungsplan Nr. 6820-2 „R(H)EINWOHNEN“ in Beuel
Meinungsäußerung zur Information der Stadt Bonn vom 21.10. bis 4.11.22 und zur Informationsveranstaltung vom 26.10.
Bonn, den 4.11.2022
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit der Bürgerinformation wurde seitens der Stadt kein Entwurf des Bebauungsplans, sondern eine Bebauungsstudie mit Erläuterungen zur Kenntnis gegeben. Insbesondere die beabsichtigten Ausweisungen nach BauNVO fehlten. Unsere nachstehenden Anregungen und Bedenken können sich daher nur auf diese begrenzten Informationen beziehen. Weiterhin wurden auch die Gutachten zu kritischen Themen nicht zur Verfügung gestellt, sodass die Besorgnisse aufrechterhalten werden müssen. Die mündlichen „Versicherungen“ der anwesenden Gutachter, die Probleme seien ausgeräumt, konnten nicht überzeugen und sind nicht belastbar.
Das Format der Veranstaltung einer zeitlich und räumlich auseinander gezogenen Präsentation von Einzelaspekten hat keine Erörterung, keinen Diskurs und keinen erkennbaren Widerspruch zugelassen. Bürgerinformationen sollten den Dialog und Diskussion auch innerhalb der Bürgerschaft fördern und die Bürger nicht nur in einer Art „mitnehmen“, mit der Diskussion und Widerspruch unterbunden werden. Dies würde auch – wie hier geschehen - einer fehlerhaften oder zumindest unvollständigen Darstellung in den Medien vorbeugen.
An dieser Stelle ist auch auf unsere Stellungnahme an die Stadt Bonn vom 22.04.2022 hinzuweisen, die bis heute unbeantwortet geblieben ist. Auch dies ist nicht geeignet, Besorgnisse auszuräumen.
Wir möchten aber trotz der wenig vertrauensbildenden Vorzeichen auch diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, die Stadt auf die unseres Erachtens bestehenden Unzulänglichkeiten und Risiken und den bestehenden Änderungsbedarf der Planung erneut hinzuweisen.
Nutzungskonzept und Dichte
Der Bereich der Telekom stellt eine Sonderfläche dar, die nicht Maßstab für eine angrenzende Wohnbebauung sein kann, die sich in ihrer Struktur und Dichte an den angrenzenden Wohnbereichen zu orientieren hat. Neben der insgesamt für diesen Randbereich der Stadt viel zu hohen Dichte ist auch die Nutzungsstruktur – gemessen an den politischen Zielen der Stadt – nicht überzeugend.
• Infolge der Entwicklung zur ortsungebundenen Arbeit und zur IT-gestützten ortsunabhängigen Kommunikation sinkt der Büroflächenbedarf der Unternehmen und nimmt die berufliche Reisetätigkeit ab. Diese Entwicklung zu Mobilarbeit, Homeoffice und Videokonferenzen ist eine unter vielen Gesichtspunkten gute und zu unterstützende Veränderung. Daher sind weder das Boardinghouse noch die Bürobereiche an diesem Standort sinnvoll. Zudem entstehen neue Bürogebäude gerade am Bonner Bogen. Bürobereiche und Boardinghouse können und müssen entfallen, um eine Reduzierung der Dichte damit vielfältige Verbesserungen zu erreichen. Kita, Café und Bistro werden begrüßt, ein Mobility-Hub für Fahrräder, Lastenräder, Roller etc. (parken, aufladen, reparieren, ausleihen …) fehlt.
Höhe der Bebauung
Die unangemessen hohe Dichte führt auch zu unangemessen hohen Baukörpern.
• Die Aufbauten auf den Staffelgeschossen der 2geschossigen Bebauung überschreiten deutlich die Firsthöhe der angrenzenden Wohnbebauung am Himmerichweg. Zusammen mit dem umgebenden Geländer und der Bepflanzung (Intensivbegrünung u.a. mit Gehölzen) erreichen die Häuser eine Höhe, die insbesondere durch den minimalen Abstand zum Himmerichweg nicht angemessen ist. Auf das Staffelgeschoss muss, sofern der Abstand der Bebauung nicht vergrößert wird, unmittelbar am Himmerichweg daher generell verzichtet werden.
• Auf der gegenüberliegenden nicht vom Bebauungsplan überplanten Seite des Himmerichwegs kann die bestehende Wohnbebauung nur als zweigeschossige Bebauung mit Satteldach bzw. Staffelgeschoss in Richtung Bahn fortgesetzt werden. Auch die Wohnbebauung entlang des Himmerichwegs in Richtung Eisenbahn soll daher nicht über 3 hinaus auf 4 Geschosse zzgl. Staffelgeschoss angehoben werden (Häuser H9 und H1).
• Für einen gleichbleibenden Anstieg der Wohnbebauung vom Himmerichweg hin in Richtung der Telekombauten darf das zentrale Gebäude H7 nicht über 3 Geschosse hinausragen. Dies gilt auch für die Häuser entlang der Eisenbahn (H1 auf II und H2 auf III Geschosse reduzieren).
• Die Gebäude entlang der Telekombauten überschreiten die dort zulässige Gebäudehöhe von 73m üNN (vgl. B-Plan 8021-19). Die Plangebäude überragen diese mit einer Höhe von 74,50m üNN zzgl. Geländer und Dachaufbauten erheblich. Auf das Staffelgeschoss muss daher verzichtet werden.
Gestaltung der Fassaden
• Im B-Plan sind für alle Gebäude helle Fassaden fest vorzugeben, um eine vermeidbare Zusatzerwärmung zu vermeiden. Fassadenbegrünungen (Anlage und dauerhafte Unterhaltung) sind als Festsetzung mit Flächenvorgaben aufzunehmen.
Mobilität & Erschließung
Ein in der Freifläche autofreies Quartier wird grundsätzlich begrüßt.
• Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, dass 168 Stellplätze (153 Tiefgarage + 15 oberirdische Stellplätze) für
o die Bewohner*innen von 197 Wohneinheiten,
o für die Mitarbeiter*innen eines Bürogebäudes,
o für die Beschäftigten und Nutzenden einer Kita,
o für Betreiber und Gäste von Bistro und Café und
o für die Angestellten und Gäste eines Boardinghouses (mit einer nicht genannten Anzahl an Zimmern/Apartments), die in erheblicher Zahl mit dem PKW anreisen,
ausreichen. Wir sind der Überzeugung, dass die ungenügende Stellplatzzahl zu einem Chaos im ruhenden Verkehr innerhalb und außerhalb des Planbereichs führen wird, vor dem die Verantwortlichen die Augen nicht verschließen dürfen.
• Vor dem Hintergrund der – zu – knappen Stellplatzzahl ist die Begrenzung der Verkehrsgutachtens auf das Plangebiet ohne Auseinandersetzung mit umliegenden Stadtbereichen nicht zu rechtfertigen.
• Erstaunlich ist, dass der geförderte Wohnungsbau in den Häusern H1, 2, 3 und 9 keinen direkten Zugang zur Tiefgarage bekommt. Die Erklärungen eines Mitarbeiters der Stadtverwaltung während der Präsentation dazu waren grotesk und weltfremd.
• Unseres Erachtens ist das ausschließliche Angebot einer Tiefgarage zwischen Telekom, Gartenmarkt und Rheinaue außerhalb der Geschäftszeiten und während der Dunkelheit für Nutzerinnen und Nutzer nicht geeignet und nicht zumutbar.
Freiraum & Ökologie
• Die massive Über- und noch massivere Unterbauung des Grundstücks lässt nur wenig Spielraum für eine qualitätvolle Gestaltung. Selbst der „Quartiersplatz“ weist bei näherer Betrachtung nur Verkehrs-, Funktions- und Restflächen ohne Aufenthaltsqualität auf.
• Die Aufenthaltsqualität in den Außenbereichen ist mangelhaft. Auch im Geschosswohnungsbau sind wohnungsbezogene Freiflächen sinnvoll, hier aber nicht angeboten. Die Dachflächen werden als Ersatz nicht geeignet. Die Freiflächen sind zu gering, werden durch Funktionsflächen wie die im Plan nicht dargestellten Flächen für die Entsorgung über Tonnen, massiv eingeschränkt.
• Das Niederschlagswassersystem (Mulden-Rigolen-System) ist vollständig vom Kanalnetz zu entkoppeln. Auch bei Überbelastung dieses System muss ausgeschlossen werden, dass Wasser in das Kanalnetz abgeschlagen wird. Hierfür sind die Freiflächen so zu gestalten, dass diese zusätzlichen Wassermengen zeitweise zwischengespeichert werden können. Dies ist durch eine „Tieferlegung“ der Quartiersplätze oder durch Hochborde an den inneren Erschließungsflächen möglich.
• Wie Starkregenereignisse in der Vergangenheit zeigten, ist das örtliche Kanalnetz an seiner Kapazitätsgrenze. Damit das Kanalnetz weiteres Abwasser aufnehmen kann, sind Stauraumkanäle vorzusehen, die bei stärkeren Niederschlägen (in den „Mischgebieten“) einen Rückstau in die Häuser verhindern.
• Eine unmittelbare Anbindung an den Mischwasserkanal im Himmerichweg muss wegen der bereits bestehenden Überlastung ausgeschlossen werden.
• Die innere Durchgrünung soll nicht nur als „Angebotsplanung“, sondern als verbindliche Festsetzung in den B-Plan aufgenommen werden. Dies umfasst eine Begrünungspflicht der gemäß B-Plan nicht beplanten Freiflächen. Eine flächige Fassadenbegrünung einschl. dauerhafte Unterhaltung und Pflege ist an den vorgesehenen Gebäudeflächen festzuschreiben. Dies gilt weiterhin für eine Pflanz- und Begrünungspflicht der Pflanztröge. Hier stellt sich auch die Frage, warum diese Pflanztröge jeweils nur auf einer Hausseite vorgesehen sind. Zur Minderung der Bildung einer Wärmeinsel sind alle Potenziale auszunutzen. Hierzu gehört auch, dass das Maß der Dachterrassen auf den intensiven Dachbegrünungsflächen restriktiv begrenzt wird. Alle „Grünfestsetzungen“ sind nachvollziehbar und belastbar festzusetzen.
• Auf der Plangebietsgrenze zum Himmerichweg wächst eine mächtige Eiche, die mit ihrer Baumkrone in das Plangebiet hineinreicht. Der Kronentraufbereich zzgl. 1,5 m (vgl. DIN 18920) ist von jeglicher Bebauung (auch während der Bauphase) freizuhalten; ggf. ist die Häuserkubatur anzupassen.
• Die Ökologie des bestehenden Gartenbaugeländes wird vollständig missachtet. Die Aussage „Durch die Änderung des Flächennutzungsplans wird der Lebensraum für Flora und Fauna geringfügig verändert“ lässt erkennen, dass man sich der ökologischen Funktion des Geländes innerhalb der Siedlungsrandlage in Verbindung mit den ökologischen Ausgleichsflächen jenseits der Bahn nicht bewusst ist. Hier fehlt u.a. jegliche Auseinandersetzung mit dem Artenschutz.
Schall & Klima
• Es ist weiterhin völlig unverständlich, dass ein aktuelles Klimagutachten, welches nach wie vor von der Verwaltung geheim gehalten wird, die ehemaligen Gutachteraussagen des Deutschen Wetterdienstes vollständig negiert. Dieses war zu dem Ergebnis gekommen: „Aus stadtklimatischer Sicht ist daher auf eine weitere Bebauung des westlich gelegenen, restlichen Freiflächenstreifens sowie der angrenzenden Freiflächen südwestlich des Landgrabenweges und jenseits der Eisenbahnlinie unbedingt zu verzichten“. Der Freifläche wurde u.a. als Durchlüftungsschneise eine klimatische Ausgleichsfunktion für das Baugebiet der Telekom zugeordnet (vgl. Begründung B-Plan 8021-19). Mit der jetzt geplanten Bebauung der Freiflächen werden die Planungsgrundsätze und wesentliche Grundlagen des alten Bebauungsplanes konterkariert.
• Ausweislich der Karte der Kaltluftvolumenstromdichte (Kartenausschnitt s.u., vgl. Stadtklimaanalyse Bonn) trifft es nicht zu, dass die Frischluftbahnen nur in Längsrichtung der Bahnlinie und des Landgrabenweges verlaufen, so wie dies das Piktogramm Lokalklima glaubhaft machen möchte.
Auch wird in der o.a. Karte die im Klimagutachten des Deutschen Wetterdienstes attestierte Kaltluftfunktion der Freifläche deutlich (Kaltluftvolumenstromdichte >10-20 gegenüber <10 in der Umgebung). Vor diesem Hintergrund ist es absolut unverständlich und fachlich nicht haltbar, dass jegliche Frischluftbeziehungen durch einen hohen Gebäude- bzw. Glaswandriegel entlang der Bahn (IV-Geschosse zzgl. Staffelgeschoss) und durch haushohe Lärmschutzwände zwischen den Gebäuden hermetisch abgeriegelt werden sollen. Es ist zwingend erforderlich, dass die Gebäude dort deutlich niedriger errichtet, die Abstände zwischen den Gebäuden erweitert werden und auf die verglasten Lärmschutzwände verzichtet wird.
• Diese verglasten und haushohen Lärmschutzwände sind auch aus Sicht des Vogelschutzes absolut inakzeptabel.
• Entlang der Bahn sind unverständlicher Weise drei parallele hohe Baukörper für den Schallschutz vorgesehen, zwei Schallschutzwände und die 4 Geschosse hohe Gebäude- bzw. Glaswand. Die begrünten Schallschutzwände des Projekts sollten in einem größeren Abstand zum bestehenden Radweg errichtet werden. In Verbindung mit den geplanten 4 m hohen Schallschutzwänden der Deutschen Bahn können hier aufgrund der engen Situation sonst Angsträume entstehen. Der Fuß- und Radweg entlang der Bahnlinie hat bereits heute eine wichtige Verbindungsfunktion, die mit dem Bau der S-Bahn-Haltestelle am Schießbergweg (nebst Seilbahn?) noch deutlich zunehmen wird. Der Fuß- und Radweg sollte möglichst offen und großzügig gestaltet werden.
• Die Aussage, dass die begrünte Schallschutzwand die Schall-Reflexion wesentlich beeinflusst ist angesichts der Höhe der Gebäude- und Glaswände bezogen auf den „Sonnenhang“ nicht überzeugend.
Die Aussagen zur Veränderung des Orts- und Landschaftsbildes sind unfassbar und diskreditieren in ihrer Leichtfertigkeit alle Aussagen zum Projekt. Eine unbebaute, brach liegende landwirtschaftliche Nutzfläche wird in ein hochverdichtetes, unterirdisch weit über die Gebäudeflächen hinaus bebautes „urbanes“ Quartier umgestaltet. Dies hat gravierende Veränderungen zur Folge, die nicht negiert oder klein geschrieben werden können.
Wir werden diese Stellungnahme auch den politischen Gremien und Fraktionen der Stadt zur Verfügung stellen. Eine Übermittlung an lokale und regionale Medien behalten wir uns vor.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Rüter Hans Joachim Runkel